Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 3. April 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
1 | Das Landgericht hat durch das angefochtene Urteil das Verfahren gemäß § 260 Abs. 3 StPO eingestellt. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft zu Ungunsten der Angeklagten Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg. |
I. | |
2 | Dem Einstellungsurteil des Landgerichts ging folgendes prozessuales Geschehen voraus: |
3 | 1. Die Staatsanwaltschaft Kaiserslautern wirft beiden Angeklagten und dem bis zur Verfahrensabtrennung Mitangeklagten E. mit Anklageschrift vom 24. Januar 2014 vor, in 238 Fällen gemeinschaftlich handelnd als Arbeitgeber den Einzugsstellen Beiträge der Arbeitnehmer zur Sozialversicherung sowie zugleich auch als Arbeitgeber an diese Stellen abzuführende Beiträge zur Sozialversicherung vorenthalten zu haben. Weiter lag der Angeklagten A. zur Last in 51 Fällen sowie dem Angeklagten K. in 40 Fällen, Steuern dadurch verkürzt zu haben, dass sie gemeinschaftlich handelnd die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis ließen. |
4 | In der insgesamt 39 Seiten umfassenden Anklageschrift wird zu den Tatvorwürfen näher ausgeführt, dass beide Angeklagte im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit, die Angeklagte A. als angemeldete einzelkaufmännische Gewerbetreibende der Einzelfirma „D. “ sowie der Angeklagte K. als faktischer Mitinhaber dieser Firma im Zeitraum von Juli 2006 bis Juli 2010 (Taten 1-238 der Anklage) im bewussten und gewollten Zusammenwirken Arbeitnehmer beschäftigt haben sollen, ohne sie überhaupt bzw. nur teilweise gegenüber den Sozialversicherungsträgern und den Finanzbehörden angemeldet zu haben. Zur Verschleierung dieser Beschäftigungsverhältnisse wurden einerseits mit Scheinrechnungen zahlreiche Fremdarbeiten als Betriebsausgaben verbucht sowie andererseits bzgl. einzelner namentlich bekannter Arbeitnehmer Lohnzahlungen unzutreffend als steuer- und beitragsfreie Fahrt- und Verpflegungskosten behandelt. Zu den konkreten Einzeltaten waren in der Anklage für die genannten Tatzeiträume aufgeschlüsselte Übersichten mit den jeweils nicht abgeführten monatlichen Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung, zu den näher bezeichneten Sozialversicherungsträgern Barmer GEK, AOK Baden-Württemberg und AOK Rheinland-Pfalz, IKK Südwest und Techniker Krankenkasse (TK) enthalten, aus denen sich ein Gesamtbetrag der nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge von 441.741,36 Euro im gesamten Tatzeitraum ergab. Im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen wird dargelegt, dass bei den Taten 1 bis 49 in Bezug auf die nicht namentlich ermittelbaren Arbeitnehmer die Schwarzlohnsumme geschätzt und die Beiträge insoweit auf Grund der letzten Ziffern der Betriebsnummer der Barmer GEK als Einzugsstelle zugeordnet wurden. In den Fällen 50 bis 238 erfolgte in den jeweiligen Tatzeiträumen eine konkrete Zuordnung der nicht abgeführten Sozialabgaben zu den Einzugsstellen in Bezug auf die fehlerhaft als beitragsfrei ausbezahlten Fahrtgelder und Verpflegungspauschalen, ohne aber in den jeweiligen Monaten die betreffenden Arbeitnehmer konkret zu bezeichnen. |
5 | In Bezug auf die Steuerhinterziehung enthält die Anklageschrift im Tatzeitraum von Juni 2006 bis Juli 2010 eine tabellarische Auflistung der in den jeweiligen Monaten nicht einbehaltenen und nicht abgeführten Lohnsteuer mit einer Gesamtsumme von 162.689,71 Euro. Dabei richtet sich der Tatvorwurf für den gesamten Tatzeitraum gegen die Angeklagte A. (Taten 239-288 der Anklage), gegen den Angeklagten K. nur für die Taten 249-288 der Anklage, weil wegen der früheren Taten Verfolgungsverjährung eingetreten ist. Weiter wird beiden Angeklagten zur Last gelegt, im Veranlagungszeitraum 2008 bei der Jahreserklärung der Umsatzsteuer, der Gewerbesteuer und der Einkommensteuer (Tat 289 der Anklage) Steuern in Höhe von insgesamt 67.421 Euro verkürzt zu haben. Da von Seiten der Einzelfirma keine ordnungsgemäße Lohnbuchhaltung erfolgte und nur vereinzelt Stundenaufzeichnungen und Lohnquittungen gefunden wurden, konnte entsprechend der Anklage nicht durchgängig festgestellt werden, für welche konkreten Personen Lohnsteuer nicht ordnungsgemäß abgeführt wurde, weshalb insoweit teilweise Schätzungen erfolgten. |
6 | 2. Diese Anklage wurde vom Landgericht mit Beschluss vom 12. Oktober 2015 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen. |
7 | 3. Das Landgericht hat das Verfahren in der Hauptverhandlung vom 3. April 2017 mit Urteil gemäß § 260 Abs. 3 StPO eingestellt, weil die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft nicht die in § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO normierte Umgrenzungsfunktion der Anklage erfülle. Zur Begründung wird - vor allem unter Bezugnahme auf Beschlüsse des OLG Hamm vom 18. August 2015 (III-3 Ws 269/15, wistra 2016, 86) und des OLG Celle vom 19. Juli 2011 (1 Ws 271-274/11, wistra 2011, 434) und vom 3. Juli 2013 (1 Ws 123/13, NZWiSt 2015, 430) - darauf abgestellt, dass im Fall des Vorwurfs des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt die Umgrenzungsfunktion der Anklage nur gewahrt werde, „wenn die einzelnen verfahrensgegenständlichen Taten - namentlich das jeweils einen konkreten Zeitraum betreffende Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen für bestimmte Personen an konkret benannte Sozialversicherungsträger trotz bestehender Pflicht hierzu - bezeichnet werden“ (UA S. 18). Da vorliegend in der Anklage weder die bekannten Arbeitnehmer benannt noch einem bestimmten Zeitraum bzw. einem bestimmten Sozialversicherungsträger zugeordnet werden, genüge dies zur Wahrung der Umgrenzungsfunktion der Anklage nicht. Eine Bezeichnung lediglich der Einzugsstellen ohne die Arbeitnehmer reiche nicht aus, auch soweit die Arbeitsentgelte der unbekannten Arbeitnehmer nur durch Schätzung ermittelt wurden (UA S. 19). Dieser Verfahrensmangel betreffe auch die angeklagten Taten der Lohnsteuerhinterziehung, da hier ebenfalls nicht nachvollziehbar werde, hinsichtlich welcher bekannten Arbeitnehmer für welchen Zeitraum die Lohnsteuer überhaupt berechnet wurde (UA S. 20). Auch hinsichtlich der Tat 289 der Anklage ergebe sich nicht hinreichend genau für welche Steuerarten eine Steuerhinterziehung angeklagt werden solle (UA S. 22). |
II. | |
8 | Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Die Anklage ist wirksam, weil sie die notwendigen Angaben zur Bestimmung des Prozessgegenstandes enthält und damit ihrer Umgrenzungsfunktion genügt. |
9 | 1. Eine Anklage ist nur dann unwirksam mit der Folge, dass das Verfahren wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen ist, wenn etwaige Mängel ihre Umgrenzungsfunktion betreffen (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 24. Januar 2012 - 1 StR 412/11, BGHSt 57, 88, 90 f. Rn. 12 mwN). |
10 | a) Die Anklageschrift hat nach § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs dargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 24. Januar 2012 - 1 StR 412/11, BGHSt 57, 88, 91 Rn. 13). Dabei muss die Schilderung umso konkreter sein, je größer die allgemeine Möglichkeit ist, dass der Angeklagte verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 8. August 1996 - 4 StR 344/96, BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 20 mwN). Die begangene konkrete Tat muss durch bestimmte Tatumstände so genau bezeichnet werden, dass keine Unklarheit darüber möglich ist, welche Handlungen dem Angeklagten zur Last gelegt werden (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09, NJW 2010, 308 Rn. 92). Denn es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll. Erfüllt die Anklage ihre Umgrenzungsfunktion nicht, ist sie unwirksam (vgl. u.a. BGH, Urteile vom 9. August 2011 - 1 StR 194/11, NStZ 2012, 85 mwN; vom 2. März 2011 - 2 StR 524/10, BGHSt 56, 183, 185 f. Rn. 6 und vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09 aaO; Beschluss vom 29. November 1994 - 4 StR 648/94, NStZ 1995, 245 mwN; Urteil vom 11. Januar 1994 - 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 45). Ein wesentlicher Mangel der Anklageschrift, der als Verfahrenshindernis wirken kann, ist daher nur anzunehmen, wenn die angeklagten Taten anhand der Anklageschrift nicht genügend konkretisierbar sind, so dass unklar bleibt, auf welchen konkreten Sachverhalt sich die Anklage bezieht und welchen Umfang die Rechtskraft eines daraufhin ergehenden Urteils haben würde (vgl. u.a. BGH, Beschlüsse vom 18. Oktober 2007 - 4 StR 481/07, NStZ 2008, 352 mwN und vom 14. Februar 2007 - 3 StR 459/06, StraFo 2007, 290 mwN; Urteil vom 28. April 2006 - 2 StR 174/05, NStZ 2006, 649 Rn. 1; Beschluss vom 20. Juli 1994 - 2 StR 321/94 mwN). Bei der Prüfung, ob die Anklage die gebotene Umgrenzung leistet, dürfen die Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zur Ergänzung und Auslegung des Anklagesatzes herangezogen werden (vgl. u.a. BGH, Urteile vom 9. August 2011 - 1 StR 194/11 aaO mwN; vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09 aaO Rn. 95 mwN und vom 28. April 2006 - 2 StR 174/05 aaO). |
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